Montag, 19. Juni 2023

Geister

Heute mal ein aufgefrischter Beitrag von meiner Homepage aus dem Jahre 2008, der sich mit dem Buch „Geister von Stefano Benni befasst.

Anfang:

Senor Epaminodas Rios aus Cali (Kolumbien) hat vor zwei Jahren in seinem Gemüsegarten eine sechsunddreißig Kilo schwere Kartoffel entdeckt und sie ein halbes Jahr später geheiratet.

Ende.

Dieser Kurzgeschichtenschnapp aus „Es gibt keine schlechten Menschen, sagte der Bär, wenn sie gut zubereitet sind“, war für mich Motivation es mal mit einen Roman des italienischen Satirikers zu versuchen.
Was erwartete mich?
Erst mal ein Personenverzeichnis der Leute, die dann mal eine Rolle im Buch übernehmen sollen. Das es noch relativ kurzgehalten ist, angesichts der People, die dann im Buch verschlissen werden, hat mich komischerweise nicht gestört (eigentlich hasse ich Bücher mit vielen Akteuren). Auch machten die fantasievollen Namen Lust aufs Lesen. So gibt es SOLDOUT (König für Show- Bizz und Propaganda), SYS REQ (König für Virtuelles), BOMBAROTTI (Tenor), GINGER (neureicher New- Age- Positive- Thinking- Sänger), PUSSY PUSSINGER (Sex Symbol), MICHAEL TEFLON (einbalsamierter Sänger), SCHMIERSEIF (Komiker), FRAU GRAINE (Kriegsbesorgerin), SANKT TORNISTER (Schulranzenmärtyrer), GOTT (-), MUSASHIMARU (Anführer der tiefgefrorenen Thunfische)...
Dann fängt alles langweilig und fantasymäßig an und wer da aufgibt, verpasst das größte Chaos an Verwicklungen und Bloßstellungen der Weltpolitik, aber auch Auswüchse unserer Gesellschaft werden hervorgezerrt und breitgetreten. Und das macht richtig Spaß. Der Protagonist des Romans ist Max, Herrscher des Imperiums und wohnhaft in der Weißen Villa, der am Rande einer Weltkonferenz wieder mal liebestoll und vergeblich seiner Praktikantin nachjagt und im begehbaren Backofen der Weißen Villa landet, wo ihm im Dunklen dann Triumphgefühle ereilen: er kriegt einen geblasen. Da er aber ein Volltrottel und Versager ist, hat auch diese Sache einen Haken: die Bläserin ist nicht Praktikantin Melinda, sondern die sowjetische Generalin Galina Trawabanskaja. Um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden, lässt Benni sie an einer Verpuffung im Ofen sterben. Was dann noch Bob Lucmic (der Erste General) treibt, ist so extrem verzerrt, dass es fast schon wahr sein könnte. Er hat sich auf seinen Bomber eine Kanzel mit Maschinengewehr installieren lassen, von der aus er aus Spaß Entenschwärme und Linienflugzeuge beschießt. Oder SYS REQ, der die Realität nicht ertragen kann und im Flugzeug einen Cyberhelm trägt, weil er an Luftkrankheit leidet, aber in der virtuellen Realität kopfüber fliegt und Ziele bombardiert.
Alles in allem sind die ersten 140 Seiten an mir vorbeigerauscht, die Story ist geprägt von einem atemberaubenden Tempo, teilweise Details ohne Einfluss auf den Fortgang, aber immer wieder schleift Benni diverse Politiker, Staatssekretäre, Präsidenten, Militärs und Diktatoren in die Manege, um sie dort völlig überdreht der Lächerlichkeit preiszugeben. Und wenn man nur ein Minimum an Politikinteresse besitzt, weiß man auch, was gemeint ist- egal ob die Geschichte in Neppitalien, Ostravien, Slavien, Betonien, Iraquien oder Lunistan spielt, oder ob die Diktatoren der letzten drei Kriege Wüsten- Sadist, Karpazen- Vampir oder Bananen- Hitler getauft werden.
Als Gegenpol dazu ein Kalif Almibel, der dreizehn Jahre alt ist und 60% des Welterdölmarktes kontrolliert und zur Konferenz mit seiner dreißigtausend Quadratmeter- Jacht erscheint, also die Jacht wird von vier Superlastern gezogen, weil Almibel sie aus Angst vor Attentaten nicht mehr verlässt. Im Schlepptau sechshundert Leibwächter und Vorkoster, u.a. auch für Bubble Gums.
Aber ich lasse mal das ganze Theater weg und bald kommt im Buch die Stelle mit dem Milliarden- Dollar- Konzert zu Ehren des Gerechten Krieges und einige, die bald auf der dreitausend Meter breiten Bühne stehen sollen, reisen gerade in Flugzeugen an, was sich da so zuträgt, spottet jeder Beschreibung, MICHAEL TEFLON, der nur in einer Vakuum- Röhre reist, um nie zu altern, ist genauso vertreten, wie eine richtig harte Band (die Allüren der Komiker, Tenöre und Rockstars allein sind das Buch wert).
Nun eine kleine Sequenz aus dem Machwerk:

...Mit ihm (Lucmic, d.S.) flogen rund fünfzig Marinesoldaten, der Ordnungsdienst für das Konzert, der aus schlachtenerprobten Leuten bestand, Julio Arbatax, den Rolling Blades, den Mamma- Machmich- alle und anderen Gangs. Vor allem aber flogen mit ihm die Raz, die härteste und militaristischste Reich- Rock- Band, Idol der americardischen Truppen und der Teenager in aller Welt. Hyazinth, der Schlagzeuger, war ein Erznazi und besaß eine mit Menschenhaut bespannte Trommel. Krankio, E- Baß, war mit sechshundert Hakenkreuzen tätowiert und sah aus, wie die Kreuzung zwischen einem Jaguar und einer Gucci- Handtasche. Mansonk, Sologitarrist, hasste alle und jeden, inklusive seiner Kollegen, weshalb er in einen schwarzen Samsonite- Koffer gesperrt reiste. Schließlich der Leadsänger und Texter, Adolf Velkro P in knöchellangem Ledermantel und mit Hitlerbärtchen. Alle vier tranken Bier und rülpsten ununterbrochen, Mansonk durch einen Luftschlitz im Koffer. Plötzlich stand Krankio mit einem Ruck auf und sagte:

„Ich langweile mich, ich brauche eine ordentliche Keilerei.“
General Lucmic seufzte: „Jungs, noch ein bisschen Geduld, in einer halben Stunde sind wir da, dann könnt ihr zusammenschlagen, wen ihr wollt.“
„Nein“, sagte Krankio, „ich bin ein Raz, der härteste und brutalste der Welt, und wenn ich Lust auf eine Keilerei habe, dann will ich sofort eine und nicht warten, du Arsch.“
„Tut mir leid“, sagte Lucmic, „ich nehme an du weißt, dass wir Marines dazu ausgebildet sind, jede Beschimpfung zu erdulden, ohne mit der Wimper zu zucken. Du wirst weder mich noch meine Männer dazu bringen, die Hand gegen dich zu erheben.“
„Ich will auch nicht die Hand gegen dich erheben, du alter fetter Kinderficker, übrigens weiß ich genau, dass du dich von den gefangenen Schlitzaugen poppen lässt, das ist dein liebster Zeitvertreib, und ich weiß auch, dass du beim letzten Mal, als du ein Gewehr in die Hand genommen hast, deinen Kiefer getroffen und dir außerdem ein Ei abgeschossen hast, aber was soll man auch anders erwarten von einem pazifistischen, schwulen Arschgesicht wie dir.“
„Das ist nicht wahr...also ich meine, was du sagst, Zivilist, interessiert mich nicht“, sagte Lucmic, am ganzen Leibe zitternd.
Der Anführer der Marines trat vor, der legendäre Sergeant Madigan.
„Zurück in Reih und Glied!“ befahl er.
„Sie müssen der berühmte Madigan sein, genannt Chicco, weil sie zum Kämpfen Windeln anziehen müssen, ein sauberer bolschewikischer Feigling, du sollst ja angeblich die Nigger so hassen, aber in Wirklichkeit bist du selber die Frucht eines Nachmittags, als deine Mutter den Black Bears, der Baseball- Mannschaft, Pizza gebracht und es geschafft hat, sich von allen stöpseln zu lassen, bevor die Pizza kalt war.“
„Ich darf um Erlaubnis bitten“, sagte Madigan, „diesen tätowierten Bastard nur ein ganz klein bisschen durchzuprügeln.“
„Nein, Sergeant“, sagte Lucmic. „Vergesst eure Ausbildung nicht, Jungs.“
„Heh“, rief Mansonk aus dem Koffer, „kennt ihr die Geschichte von dem vietnamesischen Zwerg und den zehn Marines im Aufzug?“
Alle kannten sie, konnten sich aber beherrschen. Da trat Hyazinth vor und sagte: „Heh, Jungs, stimmt es eigentlich, dass es Marines gibt, die ein Jahr lang an der Front sitzen und ihrer Mutter keine einzige Postkarte schreiben?“
Das war zuviel. Es entbrannte eine derartige Schlägerei, dass das Flugzeug Zickzack flog und die Piloten der Präsidial- Eskorte ihren Kollegen im Bomber anfunkten, um zu hören, was da vorging.
„Nichts“, antwortete der, „sie spielen Würfel, ohne die Würfel aus der Tasche zu holen.“

Für alle, die jetzt Bock aufs Kniffeln bekommen haben, möchte ich abschließend nachschieben:
„Nicht die Sportkleidung vergessen!“ oder man hält es so wie Benni Lucmic charakterisiert:

"Der General ist berühmt für seine sehr persönliche Auslegung des Tarnkonzepts. Im grünen Dschungel trägt er gelbrote Overalls, in der irakesischen Wüste hat er einen weißen Overall an, auf den Gletschern im Krieg gegen Skanien einen über und über mit Blumen und Weinranken bestickten. Einmal hat sich jemand zu dem Hinweis erkühnt, es reiche nicht, einen Tarnanzug zu tragen, die Tarnung müsse auch mit der Umgebung verschmelzen, in der man sich tarnen wollte. Der General formulierte daraufhin die berühmt gewordene Antwort: "Soll doch die Welt die Farbe ändern, ich nicht."

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Shownotes:

Anmerkung: Im Buch „Stracciatella und Mitropa“ befindet sich hinter der Deckmantelüberschrift „Von Rüttelplatte bis Markensocken: eine kleine regionale Delikteanthologie“ zusätzlicher Crimestoff.

Mit Augenzwinkern natürlich.

Das Buch "Stracciatella und Mitropa" (156 Seiten) von Rocco Reichelt mit u.a. Geschichten aus Flöha gibt es als Taschenbuch (8,99 Euro) und Ebook (4,49 Euro) im Buchhandel. (Amazon, Thalia, Weltbild, Hugendubel, Apple Books...)

"Stracciatella und Mitropa" u.a. hier kaufbar: Klick mich!

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