Samstag, 15. Februar 2020

Als der Himmel Orgien weinte

Die sechste Veröffentlichung aus der Bückware- Reihe war vielleicht, Korrektur: bisher, meine Ungeliebteste- auch weil ich mir viel zu viel Arbeit, Gedanken und Recherche aufbürdete.

Begonnen hatte das Desaster schon um 2012, als ich eine Ecke meiner Wohnung grau strich und darauf unzählige miteinander verklebte DIN A4 Blätter befestigte, auf denen ich meine Erkenntnisse zur Struktur der Roten Armee und der Wehrmacht (Dienstgradbäume, ach was sag ich: Wälder) in großen Lettern notierte und zeichnete.
Dazu kamen Sichtungen und Forschungen in und aus über 40 Stunden Videomaterial rund um den zweiten Weltkrieg, der Besuch von Wehrmachtsforen im Internet, Blicke in Zeitungsartikel damaligen Ursprungs, Intensivbeschäftigung mit der Geschichte des KZ Dora, der Vergeltungswaffe und das Wälzen Berliner und Chemnitzer Stadtpläne aus dem handelnden Jahr.
Ganz am Anfang (um 2011) dachte ich mir: Mensch, was wäre, wenn jede Privatperson die heutige Kommunikationstechnik im Hosentaschenformat schon in den Vierzigern des letzten Jahrhunderts gehabt hätte, das gäbe doch angesichts der Mitteilungswut jedes Einzelnen ein heilloses Chaos.

Herbert ist hier: Kursker Bogen. Friedrich und 755678 gefällt das.
Waldemar postet: Hatte heute drei Abschüsse. 1,2 Mio Retweets.
Heinrich schreibt: Landgewinn 200 Meter. 266903 Mal geteilt.
Was machst du gerade, Landser Ludwig?

Spendenaufrufe, Gruppen, Marketplace, Videos auf Watch...ein weites Feld.
Letzten Endes gingen mir aber damals Facebook und Co. scheinbar noch nicht genug auf die Nerven, ich entwarf ein völlig neues Szenario und ließ meine Protagonisten Namen tragen, die man hauptsächlich im Z-Promi-Bereich des deutschen Fernsehens wieder findet.

Neulich ein Leser zu mir: „He, der Pütz, ich dachte noch das wäre Zufall, aber der Wendler...“
Meine Antwort konnte nur sein: „Scheiße, waren die auch dabei?“
Inzwischen weiß ich nicht mal mehr, wie sich die ganze Geschichte abspielt, was ich geschrieben habe.
Genauso unvergessen: als ich das Heftcover auf Facebook als Promo postete, hatte ich ruckzuck mindestens zwei Fans aus dem damaligen Lager des „Rechten Plenums Chemnitz“, die wohl der Meinung waren, dass ich ein Propagandastrolch und einer der ihren sei.
Ihre realen Namen hätte ich gern in die Geschichte eingebaut, dort wäre genug Platz für Verrückte gewesen, die Verrücktes tun.

Anbei: das Vorwort.

VORWORT

Bei der Auswahl meiner nächsten veröffentlichungswürdigen Novelle stand für mich die Überlegung im Vordergrund welcher Einblick in welche meiner tagtäglichen Arbeitswelten meinen Lesern besser munden würde.
Vorweg: Hauptberuflich bin ich Baustoff- und Organhändler. Nebenberuflich verdiene ich mir als Aushilfe in einem, naja nennen wir es, Lustlichtspielhaus paar Groschen dazu.
Es stand also für mich zur Debatte über Betonmischungen (zu trocken), Skalpelle (zu scharf) und ein transplantierfähiges gebrochenes Herz (zu traurig) zu schreiben, oder mich über Erotik (zu heiß) in allen Facetten, mit allem Brimborium, das man sich vorstellen kann, auszulassen.
Ich überlegte lange, sehr lange (strich die „zu’s“ oder fügte sie wieder hinzu) und die Entscheidung fiel an einem Montagmorgen, als ich aus dem 3-D- Pornokino im Kopfbahnhof Floßmühle bei Borstendorf trat, wo ich als Teilzeitreinigungskraft angestellt bin.
Geholfen hat mir dabei (Trara!) der Zufall.
Die Nacht war nicht viel los gewesen (sonst hätte ich in jener Früh noch eine Stunde an der großen Papiertücherpresse ranhängen müssen) und so sah ich mich im Filmspeicher um und entdeckte einen Film, den man oberflächlich als Uniformfetischkram abgetan hätte. Dass sich jener aber als verkappter Spielfilm mit Horror-, Sciencefiction-, Roadmovie- und Kriegsdramamomenten entpuppte, erstaunte mich dermaßen, dass ich nun getrost den Entschluss fassen konnte, diesen Film in einer Novelle zu erzählen.
An jenem besagten Tag, als meine Wahl endlich getroffen war, trat ich erleichtert ins Freie, ohne mich am grauen Anzug zu stören, den der Morgenhimmel trug, und ich winkte sogar dem Zug nach Chemnitz hinterher, der um die Biegung davon trödelte.
Als Angestellter eines Unternehmens mit gutem Ruf, das sich auf die Fahnen geschrieben hat immer auf die FSK hinzuweisen, appelliere ich an den Leser und seine Eigenverantwortlichkeit und möchte sie bitten sich vorab zwei Sicherheitsabfragen zu stellen, bevor sie ihre Widerstandsfähigkeit, die dieses Buch ausloten wird, auf die Probe stellen.
Und, nebenbei bemerkt, damit mich höchstselbst hinterher keine Klage wegen des Verbreitens von unzüchtigen Schriften ereilt.

Sicherheitsabfragen:

Sind sie gegen die textliche Darstellung von obszönen Gelagen gefeit?
Ertragen sie ausformulierte schmutzige Worte und Taten?

Wenn sie dies bejahen können, dann dürfen sie getrost den Griff zum Etui ihrer Lesebrille riskieren und bestenfalls werden sie auch noch für ihren Mut belohnt.
Gemeinsam und tapfer tauchen wir jetzt in den Trailer zum vorliegenden Buch ein, dessen Inhalt, anders als üblich allerdings, Behauptungen stützt, dass die Hilflosigkeit einer ganzen Nation nur mit äußeren Einflüssen bekämpft werden kann.
Folgende Wagnisse, aber auch vermiedene Grenzübertritte, möchte ich hiermit prologisch anreißen:
Es wäre mehr als gewagt den deutschen Männern, die aus bekannt unterschiedlichen Gründen zwischen 1939 und 1945 außerhalb des Landes verweilten, zu unterstellen, dass sie sich auch nach dem Krieg nicht nach Hause trauten, weil der Frauenüberschuss durch eine mysteriöse Seuche eine zusätzliche und individuelle sexuelle Kapitulation heraufbeschworen hätte.
Es ist weniger gewagt den Pornofilmbischof („Beim Ejakulat des Prälaten“) mit dem Kloster- Abt (unter anderem auch als „Hitler“, „Tribun“, „Führerchen“ tituliert) zu vergleichen, weil beide, von ihren Untertanen unterstützt, gleichartig handeln: wichsen und regieren.
Überhaupt nicht gewagt dagegen ist der Einblick in ein Konzentrationslager, weil die einst schändlichen Vorgänge inzwischen allgemein bekannt sein dürften, wären da nicht…zwei verwegene Wissenschaftler, deren Werk den Krieg in die Knie zwingen sollte und die im Lager den Kreißsaal für eine Seuche errichteten.
Nebenher und vorab wäre noch ein Rotarmist mit einer speziellen Lebensgeschichte zu erwähnen: mit ihm wandelt der Leser durch anarchische Zustände bis hin ins Reichszentrum.
Dazu bietet diese Geschichte auch Rast in zwei ausgewählten Metropolen, die durch merkwürdige Gestalten verkörpert werden.

Da wäre Chemnitz: wo die Hautevolee der Stadt beguckt wird, welche sich vor und nach dem Bombendrama treu blieb und immer am Puls der Zeit Geschäftsideen entwickelte, selbst dann noch als die Infektion schon wütete.

Da wäre Berlin: die Stadt, wo Jahrzehnte später eine Million Jugendliche mit bunten und bizarren Frisuren halbnackt zu lauter Musik durch die Strassen tanzten, aber zu dem Zeitpunkt, in dem der Film und die Geschichte spielt, Artillerie dröhnte, sich Gefangenenzüge aus der Stadt schleppten, darunter Blinde mit verbundenen Augen und Männer, die wegen weggeschossener Ohren notdürftige Kopfbandagen trugen. Der Ort auch, wo sich im Bunker die militante Elite des sterbenden Reiches in mörderischen Orgien wiederfindet.

Bevor die Geschichte losgeht, möchte ich nur noch darauf hinweisen, dass sie, lieber Leser, unbedingt Distanz zu den Einzelpersonen und dem Geschehen halten sollten!

Der Autor


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