Dienstag, 7. April 2020

Quallengeschnetzeltes in Aspik

Sturmtief „Xavier“ (nicht verwandt mit Reichsbarde Naidoo) hat uns in den Oktober begleitet. Abgedeckte Dächer, umgestürzte Bäume, eingebüßte Menschenleben.
Einige Bundestagsparteien versuchen Stimmeneinbußen durch Rechtsruckverhalten aufzufangen.
Am Liebsten wäre ich Quallengeschnetzeltes in Aspik, weitgehend unsichtbar.
Draußen nervt mich das Windpfeifen aus den Sträuchern und Baumkronen, das Geräusch aufplatschender Kastanien, das Gekrächz der Vögel, die Regentropfen, die mich berühren, die halbherzig durchbrechende Sonne und die Wolken, die das halbherzige Durchbrechen erst ermöglichen und dann verhindern, die Blicke der Menschen, das An- und Ausmachen des Autos, das Türen auf- und zuschließen, das Aufstehen und Hinlegen, das Anzünden und Ausmachen von Zigaretten, das Essen- und Trinkenmüssen und das Ausscheidenmüssen des in mich Eingeführten.
Und zwar nicht wann ich es will, sondern wenn der Körper meint, es mir so nachhaltig ans Herz legen zu müssen, dass mir nichts anderes übrig bleibt.

Mich stört mein Herzschlag.
Ich wünsche mir stundenlang an einer Haltestelle zu stehen, ohne auf das Handy sehen zu müssen.
Ich wünsche mir, von einem passagier- und pilotenfreien Triebfahrzeug abgeholt zu werden.
Ich fände es schön, wenn es mich irgendwo ausspuckt, wo kein Geräusch existiert, kein Wetter wettert (auch niemand anders menschlicher und tierischer Natur), wo es keinen Berg hinauf oder hinab geht, kein Stein durch die Schuhsohle drückt, wo ich nichts SEIN darf und wo nichts IST.
Ein endloser farbloser und horizontloser Boden, völlig eben, auf dem ich und in dem ich aufgehen kann, von keinem wahrgenommen, nicht mal von mir selbst.
Aber wahrscheinlich würde ich nach fünf Minuten dort ein Fussel oder einen Fleck suchen und wahrscheinlich ist das der Grund, weswegen ich nicht an der Haltestelle stehe.

(10/2017, aus der Sammlung „Im Bauch des Müllentsorgungsfahrzeuges“_Bückware#8)

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