Samstag, 10. Oktober 2020

He, Sechsbeiniger?!

Neulich sprach mich ein Leser an, also mich sprach ein Leser über einen Dritten an, über den und dessen Dorf wir in seiner Gegenwart, des Dritten, sprachen, als der Leser plötzlich zum Dritten sagte: „Bei euch- ist das nicht in der Nähe, wo es sechsbeinige Hunde gibt?“ und mich dabei anguckte. 
Ich spürte wie mein Kopf „Scheiße!“ schrie und wie meine Hirnwindungen Handstände machten, wo und in welchem Zusammenhang ich über sechsbeinige Hunde schreibenderweise fabuliert hatte, ja, wenn dann nur...im Zusammenhang mit Floßmühle und dem Wildschütz Hermann.
Tage später recherchierte ich in meinen Aufzeichnungen und stellte erstaunt fest, dass sich eine gewisse Natascha Zeilen mit ihm und dem Hund teilte, ohne aufzuklären, welche der reichlich vorhandenen Beine am Baum gehoben wurden.


...Aber es könnte natürlich auch ganz anders sein, glaubwürdiger und näher an der Wahrheit, die unsere hektische Zeit tagtäglich mit immer neuem Chaos überschreibt.
Ich sitze auf einem elektrisch verstellbaren Massagesessel vor Bildschirm, Maus und Tastatur. 
Unter dem futuristischen Schreibtisch aus Glas und Metall steht der Computer und brummt leise vor sich hin.
An einer Wand hängt ein riesiger Flachbildschirm mit Bild- in- Bild- Funktion und liefert Action, während die Hälfte des Raumes von einem gewaltigen Mischpult in Tischtennisplattengröße (für spontane Musikkreationen) und dreigeschossige Boxentürme ausgefüllt wird.
Auf dem Computerdisplay buhlen das Schreibprogramm, der Mail-Client und acht parallel geöffnete Browserseiten (zwei davon in soziale Netzwerke, eins zur Bank und eins zu Ebay, die anderen sind variabel) um meine Aufmerksamkeit, die sich allerdings auf der Suche nach der Fernbedienung für die Klimaanlage herumtreibt und dabei auf ein reichhaltiges Sortiment blicken kann.
Der Universalfernbedienungsindustrie habe ich noch keine Taler in den Rachen geworfen, vielleicht auch aus Angst davor, dass ich mit der Wahl des dritten Fernsehprogramms einen Raumtemperatursturz auf drei Grad erzeugen könnte.

*

Diese kalte Variante, die zudem bar jener hoffnungslosen Romantik ist, die mich von Erfolg zu Erfolg treibt, kann natürlich niemals der Wahrheit entsprechen und würde zudem meine Leser enttäuscht dazu treiben, sich schaudernd von mir abzuwenden.
Nun schätze ich mich glücklich, mit diversen Texten bewiesen zu haben, dass ich doch so karg residiere, wie ihr es denn auch mögt. 
Einer handelte von Aktivisten, die im Ortsteil die Leitungen gekappt hatten. 
Den genauen Wortlaut kann ich allerdings nicht mehr wiedergeben, weil ich zwischen den ganzen Zetteln die entsprechenden Zettel, auf denen die Worte gekritzelt waren, nicht mehr finde, was mich aber jetzt unbedingt fehlerbehaftet und somit sympathisch macht und mir einen menschlichen Anstrich verpasst, der mir ab und an abgesprochen wird.
Jedenfalls war da auch mal was mit dem Pornokino im Bahnhof Flossmühle, das ebenso dem Stromentzug zum Opfer gefallen ist. 
Bedrohlich steht der Bahnhof am Fußende des Ortes herum und seit die Bahngesellschaft beschlossen hat ihn und den Ort mit einer, als Schienenersatzverkehr getarnten und inzwischen fest installierten, Busroute zu umschiffen, gibt er der allgemeinen Tristesse den letzten Schliff.
Der akzeptierte Verfall zeigt mir eingeschlagene Glastüren und eingeworfene Fenster, Dachrinnen, die wie kaputte und verzweifelt abwinkende Prothesen vom Gebäudekörper abstehen, die zerstörte Leuchtreklame des Kinos und ein Dach durch das der Wind faucht und welches auf die Gleise schielt, zwischen deren überwucherten Schwellen allerlei Wildtier Katz und Maus spielen kann, ohne sich vor irgendwas in Acht nehmen zu müssen. 
Unangenehm schmerzhaft radiert die Zeit meine Erinnerung an bessere Zeiten aus.
An Zeiten, als noch kein meterhohes Graffiti die wenigen Lesefähigen der Kolonie zu „TÖTET DEN SECHSBEINIGEN!“ aufforderte. Als noch Zucht und Ordnung herrschte da unten, als die Städter wegen des Kinos anreisten, als ich noch in diesem schuftete, als ich noch nicht schreiben musste, um was zu verdienen.
Ach, als…
Draußen heult ein Hund und ich hoffe, dass es doch nicht der viel beschworene Sechsbeinige ist, der jeden Eindringling, egal ob Mensch oder Tier, anfällt, weswegen auch der Postbote aus dem Hauptort Borstendorf nicht mehr vorbeigeradelt kommt, denn keine Versicherung zahlt bei Bissen durch sechsbeinige Hunde.
Diese Bestie soll sich auch schon an einigen vermissten Katzen und Artgenossen gütlich getan haben, meist erzählen das Leute, die selbst nie hungrig sind und darüber hinaus einen variablen Haustierbestand unterhalten. 
Auch für Hermann, den Jäger, ist es eine schwierige Zeit.
„Seit der Sechsbeinige hier rumstreunt, läuft mir nichts mehr vor die Flinte.“, pflegt er zu sagen, wenn sich mal jemand erbarmt und ihm zuhört. 
Ihn nach Wildbret zu fragen, macht schon seit geraumer Zeit keinen Sinn mehr, nicht mal erinnern mehr kann man sich an das Echo eines Büchsenschuss dieses Wald- und Wiesenwüstlings.
Nicht das ich dieser Kreatur mein Ohr schenken würde, immerhin habe ich auch militante Veganer in der Leserschaft, es sollen diese Worte nur bezeugen, wie man hier im Protektorat Flossmühle kümmerliche Gesprächsfetzen als pulsierendes Leben verkauft.
Ochsenknecht und Schweiger sind Familiennamen, die auf diesem Flecken Erde erstmalig urkundlich erwähnt wurden...

Glücklicherweise wanderte unser Gespräch nicht in Richtung des Pornokinos. Wahrscheinlich und seltsamerweise wäre mir da nach kurzer Überlegung doch noch eingefallen wie der Mist aussah, auf dem das gewachsen war.

Auszüge aus einer lapidaren Geschichte namens: „Hallo, hier Natascha Ochsenknecht.“
(FAMOSE TEXTE FÜR GUTE BÜRGER, Bückware#7, 100 Seiten, 2016)

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