Donnerstag, 9. Januar 2020

Frequenzstörungen


An einem frischen frischen Morgen sah ich, wie an jedem frischen Morgen auf meine digitale Wetterstation und war verwirrt.
Da war was nicht so, wie es sein sollte.
Die Außentemperaturanzeige weigerte sich Auskunft zu geben.
Ich wälzte die Bedienungsanleitung und stellte fest, dass dies bei Temperaturen ab unter 35 Grad durchaus möglich sein kann.
Nun: so kalt war es beileibe nicht.
Erster Abarbeitungspunkt der Fehleranalyse: den am Küchenfenster mit Klebeband befestigten Außensensor in die gute Stube holen und die Batterien tauschen.
Ergebnis: alles wie vorher.
Zweiter Abarbeitungspunkt der Fehleranalyse: die Station vom Stromnetz nehmen und die Station wieder ans Stromnetz hängen.
Ergebnis: alles wie vorher.

Dritter Abarbeitungspunkt der Fehleranalyse: die Station mit neuen Batterien bestücken.
Ergebnis: nichts wie vorher und nichts wie vor dem Vorher.
Die Anzeige bot mir 1,9 Grad auf dem Display an, obwohl der Sensor in der Stube lag und die Stube weit entfernt von einer Temperatur dieser Art war.
Was sollte das bedeuten?
Ich legte daraufhin den Sensor aufs Fensterbrett draußen, aufs Fensterbrett drinnen, auf die Heizung dra….ähm drinnen.
Die Temperatur pendelte in mehrstündigen Beobachtungen zwischen 1,6 und 3,4 Grad.
In dieser Zeit entelektrifizierte ich die Station gefühlte dreißig mal.
Ich checkte außerdem meine geliebtes Yahoo-Wetter-Widget und verglich.
Die Yahoo-Wetterfee sagte für Borstendorf 3,1 Grad an.
Der auf der anschlagaufgedrehten Heizung liegende Sensor lieferte 3,3 Grad an die Station.
Irgendwie wurde mir das alles suspekt.
Also nahm ich den Sensor komplett auseinander und reinigte den Apparat mit Scheuermilch.
Danach waren es immer noch 3,3 Grad Innentemperatur in meinem Wohnzimmer.
Radikalkur war angesagt.
Ich zog mir Bergsteigerstiefel und Handschuhe an, setzte eine Wollmütze auf und kletterte mit dem Sensor zur Pizza in den Gefrierwürfel.
Die Temperatur änderte sich trotzdem nicht.
Nach stolzen fünf Tagen und fünf Resignationen später kam so was wie eine kleine Erleuchtung.
Wir hatten Weihnachten und ich habe im Haus einen Mitbewohner, der zu DDR-Zeiten verschiedene Drucksachen (Jugend+Technik, practica, GST-Zeitungen und Amateurfunkhefte) abonniert hatte und der später als Elektriker an der Baikal-Amur-Magistrale tätig gewesen war.
Vielleicht hat ihm seine Frau eine Wetterstation mit Außentemperatursensor unter den Weihnachtsbaum gelegt…anstelle des neuen Trikots von CLITEATER, was ich mir schwerlich auf seinem Vorruhestandskörper vorstellen kann.
Also: eine Runde ums Haus gedreht.
Tatsächlich: Sensoren sind angebracht und das nicht zu knapp.
Insgesamt verfügt er über drei Sensoren an drei verschiedenen Fenstern, wie er mir am Folgetag offenbarte.
Einer davon lieferte mir seine Außentemperatur als Außentemperatur, die uns alle gehört, und als Innentemperatur, die eigentlich nur mir gehört.
Am Tag nach dem Folgetag erzählte er mir, dass seine Wetterstation in der Rubrik „Außentemperatur“ zwischen 20,2 und 22,6 Grad anzeigt.
Scheinbar ein Gegenangriff meiner Wetterstation, die auf der gleichen Frequenz meine Innentemperatur auf sein Display als Außentemperatur projiziert.
Während er jetzt Dauersommer genießt, klappere ich in meiner Höhle mit den Zähnen.
Wenn auch nur beim Blick auf die Wetterstation.

(Dreifachtext: 01/2010 – 01/2011 - 01/2020)

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