Samstag, 31. Juli 2021

Tallhover und jetzt?

Ich neige dazu, den titelgebenden Namen TALL-HOVER auseinanderzunehmen und zu untersuchen: was sich der Hans Joachim Schädlich wo dabei gedacht haben mag, seinem „Helden“ so einen Namen zu verpassen?
Nach fünf Minuten Recherche ist mir so, als ob ich ahnte, was er meinen könnte.
Was ich aber nie herausbekommen werde (vermutlich): wie würde er (Schädlich) Tallhover im heutigen System platzieren, wie würde er (Tallhover) sich im heutigen System zurechtfinden, was nichts anderes bedeutet, wie: Welche Rolle würde er heute spielen?, denn:


Tallhover ist in Schädlichs „Tallhover“ ein Polizist, der in den Jahren ab 1840 Jagd auf Feinde des Königs, der in den Jahren um 1915 Jagd auf die Feinde des Kaisers und Jagd auf Lenin und Kommunisten, der in den Jahren ab 1933 Jagd auf Feinde des nationalsozialistischen Systems und der ab 1949 Jagd auf Feinde des Sozialismus machte.
Eingebunden in die Polizei- und Spitzeltätigkeit der Obrigkeiten der jeweiligen Gesellschaftsordnungen mangelt es ihm nicht an Kreativität und vor allem: nicht an Erfahrungen aus dem jeweiligen Vorgängersystem.
Beispielhaft sind seine Manifeste, wie man mit der Kirche und mit „Sekten“ umzugehen hat. Dabei gleichen sich die von ihm als Empfehlung herausgegebenen Schriften in der NS-/DDR- Zeit fast aufs Wort.
Im großen Showdown, wo sich Tallhover in seinem Keller selbst anklagt, sich selbst als Versager brandmarkt, nicht verteidigt werden will, sich selbst auch nicht verteidigen wird, weil er mit dem Eingeständnis seiner Schuld die Polizei- und Staatsapparatearbeit verbessern will, zeigt Schädlich, dass Tallhover auch nach 136 Jahren noch da ist: niemand findet sich, sein sich selbst ausgesprochenes Todesurteil zu vollstrecken.
Nach inzwischen fast 180 Jahren nach Tallhovers ersten Einsatz gegen den Dichter Herwegh entdecke ich persönlich aber auch, dass man sich keiner besonderen Sprache mehr bedienen muss, um irgendjemanden zu diffamieren, anzugreifen und vermeintlich auszuschalten.
Die Debattenkultur hat frechen Debattenverweigerern und Antiargumentanten Platz gemacht.
Neulich erhielt ich eine Nachricht: Die Greta und ihre Jünger sollen erstmal arbeiten gehen und raus aus ihrer Wohlstandsgesellschaft!
Hätte mich nicht gewundert, wenn es einer der weißen alten CIS- Männer gewesen wäre, einer von den Pegidioten, die auf von der Gegendemo gezeigten Gretafotos mit „Die muss erstmal richtig gefickt werden, die Sau!“ reagiert haben, aber nein, die mit stereotypen Satzbausteinen gefüllte Empörtbürgerschublade wurde im Zimmer einer jungen Frau geöffnet.
Ob Tallhover Pegida oder die Gegendemo beobachten und ausspähen würde?
Ich weiß es nicht, vermute aber Demokratie wäre für ihn nichts: zu wenig Struktur, zu wenig Härte von oben, zu wenig Linie.
Apropos Sprache: die beherrscht Schädlich perfekt, egal ob gezielt reduziert oder ausschweifend, ob bürokratisch oder lyrisch.
Ich wäre den Verfechtern der Sprachabschneidungen, die sie in Orwells „1984“ heute wiederentdeckt zu haben glauben, dankbar, wenn sie mich wenigstens in Nachrichten mit ihrem Einfallsreichtum beglücken würden, ansonsten muss ich weiter annehmen, dass sie sich freiwillig dort selbst wiederfinden: mit all ihren einfallsarmen Missdeutungen.

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